Die Errungenschaften und Perspektiven des landesweiten Streiks in der iranischen Erdölindustrie

Der große landesweite Streik von Zehntausenden von Vertragsarbeiter:innen von Erdöl-‘ Gas- und Petrochemieprojekten wird aktuell in der siebten Woche fortgesetzt. Obwohl in einigen Bereichen die Beschäftigten nach Zugeständnissen des Unternehmens den Streik beendeten und wieder ihre Arbeit aufgenommen haben,  wird der Streik fortgesetzt.

An dieser Stelle wollen wir uns mit den  bisherigen wichtigen Lehren und Errungenschaften dieses Streiks befassen.

Obwohl der endgültige Ausgang des Streiks noch nicht feststeht,  konnte der Streik bisher einige Subunternehmer zum Rückzug zwingen. Einige von ihnen haben die Forderung nach 20-Tage Arbeit und 10-Tage Urlaub sowie Lohnerhöhungen akzeptiert und Löhne zum Teil verdoppelt. Sie haben außerdem zugesagt, den Zustand der Wohnheime, Speisesäle sowie die Sicherheit am Arbeitsplatz zu verbessern. Dies ist ein unbestreitbarer Erfolg des landesweiten Streiks. Auch wenn die Unternehmen später versuchen sollten, einige dieser Errungenschaften rückgängig zu machen,  werden sie den Widerstand der Belegschaft zu spüren bekommen. Darüber hinaus ist jeder Rückzug der Kapitalisten ein Schritt vorwärts für die Arbeiter:innen.

Die nächste wichtige Errungenschaft ist die Isolierung von rechten regimenahen Kräften. Die bewussten und fortschrittlichen Arbeiter:innen bildeten den “Organisationsrat” und vereitelten bislang alle Versuche, den Streik im Sinne der Regierung zu kontrollieren und zu steuern. Diese regimenahen und arbeiterfeindlichen Kräfte haben trotz staatlicher Unterstützung bisher nichts erreichen können.

Die nächste wichtige Errungenschaft des Streiks ist der “Organisationsrat” selbst. Obwohl der Rat zeitgleich mit dem Streik seine Existenz verkündet hat,  konnte er, während eine landesweite Organisation in der Erdölindustrie fehlt, den Streik auch unter schwierigsten Bedingungen nach besten Kräften führen.

Es ist offensichtlich,  dass der Rat während dieses Streiks viel Erfahrung gesammelt hat und verstärkt wurde. Diese Erfahrungen und Erkenntnisse werden zweifellos in die nächsten Streiks einfließen.

Eine der wichtigsten und wirksamsten Maßnahmen des “Organisationsrates” war die rasche Festlegung von vier zentralen Forderungen. Somit konnten die Streikenden in den verschiedenen und verstreuten Betrieben diese Forderungen als die Grundlage ihrer Verhandlungen für die Beendigung des Streiks verwenden. Diese Maßnahme verhinderte,  dass unerfahrene Arbeiter:innen bei Verhandlungen irregeführt werden können.

Ein weiteres sehr wichtiges Thema war die Empfehlung des Rates für aktive Beteiligung der Arbeiter:innen jeder Einheit durch Betriebsversammlung und die Wahl ihrer eigenen wahren Vertreter:innen. Diese Empfehlung fand Zustimmung und wurde in vielen Bereichen umgesetzt.

Am 01. August 2021 fand die Generalversammlung der Projektarbeiter und Handwerker  der Erdölindustrie in Provinz Chahar Mahal Bakhtiary (Stadt Hafshjan) statt. Hier wehrten sich die Streikenden gegen die Rohrlegergruppe (die häufig als regimenah auftritt und den Streik beenden will) und stimmten für die Fortsetzung des Streiks.

Der “Organisationsrat” hat bereits von mehreren vergleichbaren Erfahrungen berichtet.

Es ist klar, dass die Abhaltung von Generalversammlungen und die Wahl von eigenen wahren Vertreter:innen sowie die aktive Präsenz von verstreuten Betrieben beim Vorantreiben des Streiks und deren Einfluß auf das Ergebnis des Streiks eine positive Errungenschaft darstellt. Hier kann außerdem über die Fortsetzung des Streiks bzw. die Bedienungen für die Beendigung des Streiks  gemeinsam entschieden werden. All das ebnet den Weg zur Schaffung einer landesweiten Organisation.

Eines der wichtigen Themen aktuell ist die Frage, ob der Streik fortgesetzt werden soll oder wie und unter welchen Bedingungen beendet werden kann. Aufgrund von den vorliegenden Informationen wollen die meisten Arbeiter:innen derzeit den Streik fortsetzen.

Es ist zwar lobenswert,  den Streik bis zur Verwirklichung der Forderungen fortsetzen zu wollen. Dabei ist zu bedenken, dass der Streik nicht unbefristet sein wird. Es ist aber sehr wichtig zu klären, wie der Streik beendet wird und unter welchen Bedingungen die Arbeiter:innen wieder ihre Arbeit aufnehmen. Wir können sagen, dass wie der Streik beendet wird unter Umständen wichtiger ist, als ihn zu beginnen und fortzusetzen.

Am 50. Streiktag beschäftigt diese Frage die führenden und erfahrenen Arbeiter:innen und den “Organisationsrat” am meisten. Der Rat fordert die Streikenden wiederholt auf, aktiv einzugreifen und kollektiv zu entscheiden und damit an der Beendigung oder Fortsetzung des Streiks mitzuwirken.

Diese Frage ist auch deswegen wichtig,  weil einige Unternehmen und Subunternehmen einige Forderungen der Arbeiter:innen akzeptieren und damit das Ende des Streiks und die Rückkehr zur Arbeit fordern.

Die Arbeiter:innen müssen nun entscheiden. Der “Organisationsrat” schreibt dazu:” Derzeit wird über die Fortsetzung des Streiks sowie die Bedingungen für Verhandlungen und die Wahl der Vertreter:innen für die Verhandlungen diskutiert…. Wir können bessere Entscheidungen treffen,  wenn wir zusammenkommen und diskutieren “.

Der beste und erfolgreichste Streik ist, wenn die Arbeiter:innen alle ihre Forderungen durchsetzen können und den Streik beenden. Es ist jedoch kein Wunschkonzert. Es kann sein, dass nicht alle Forderungen durchgesetzt werden können. Ein Streikende wäre in diesem Fall nicht ideal, aber es ist auf jeden Fall besser, als den Streik ohne Ergebnis zu beenden.

Das Worst-Case-Szenario ist, wenn die Arbeiter:innen keine ihrer Forderungen durchsetzen können und gezwungen werden, den Streik aus irgendeinem Grund zu beenden,  wie beispielsweise aus wirtschaftlichen Gründen. Dennoch bringt selbst ein gescheiterter Streik Lehren, Erfahrungen und Errungenschaften mit sich.

Die Macht der Arbeiter:innen liegt in ihrer Einheit und Solidarität. Die Zersplitterung und Spaltung ihrer Reihen ist die Politik der herrschenden Kapitalistenklasse, der entgegengetreten und neutralisiert werden muss.

Wir müssen alle aus den wertvollen Erfahrungen des Widerstands und Streiks in der Erdölindustrie im vergangenen Jahr lernen. Wir müssen uns organisieren,  unsere Reihen und unsere Einheit stärken und uns auf die großen Kämpfe vorbereiten.

Artikel aus Kaar Nr. 932 erschienen am 09.08.2021