Die Notwendigkeit eines einheitlichen politischen Slogan für den politischen Kampf der Arbeiterklasse!

Der Verfall der sozioökonomischen und politischen Ordnung im Iran ist so offensichtlich,  so dass es keine Erklärung und Begründung bedarf. Tiefgreifende Krisen haben alle Bereiche der bestehenden Ordnung durchdrungen. Die herrschende Klasse hat offenbart, dass sie über keinerlei Lösung selbst für eine Linderung der Krisen verfügt.

Seit vielen Jahren durchziehen große Aufstände und Ausschreitungen gegen diese verrottete Ordnung die Gesellschaft. Streiks und andere Formen des Protestes und Kampfes finden tagtäglich im ganzen Land statt. Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass jederzeit größere politische Ereignisse als bisher möglich sind. Alles weist daraufhin, dass die objektiven Bedingungen für eine Revolution im Iran bereit sind. Trotzdem verzögert sich die Revolution,  weil die Veränderung der objektiven Bedingungen von einer entsprechenden Veränderung der subjektiven Bedingungen nicht begleitet wurde.

Das zeigt,  dass eine revolutionäre Situation zwingend nicht zu einer Revolution führen wird und keine reaktionäre Klasse, selbst mit tiefgreifenden Krisen konfrontiert,  von selbst gestürzt wird,  es sei denn, die revolutionäre Klasse verfügt über das Bewusstsein,  die notwendige Organisation und Macht, um die Revolution durchzuführen und zum Sieg zu führen.

In der kapitalistischen Gesellschaft des Iran hat nur die Arbeiterklasse die Aufgabe und die Mission,  eine Revolution voranzutreiben, weil ihre Interessen darin bestehen. Aufgrund ihrer Rolle in der Produktion und weil sie die Mehrheit der Gesellschaft bildet, verfügt sie über die Macht und Stärke, der herrschenden reaktionären Klasse entgegenzutreten. Diese Tatsachen bedeuten jedoch nicht , daß die Arbeiterklasse fortwährend in der Lage ist,  eine soziale Revolution zu errichten.

Obwohl die objektiven Bedingungen der Revolution vorhanden sind,  ist die iranische Arbeiterklasse noch nicht bereit,  als eine Klasse mit konkreten politischen Forderungen und als Vertreterin der gesamten unterdrückten Massen des Iran gegen die herrschende Ordnung auf die politische Bühne zu treten.

In den vergangenen vier Jahren ist eine Art Gleichgewicht der Kräfte und eine Krise der Macht entstanden. Weder das Regime der islamischen Republik ist in der Lage,  die bestehende politische Krise zu überwinden und den Ausbruch von Massenbewegungen zu verhindern, noch die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten sind stark genug,  um das herrschende Regime zu stürzen.

Was die Arbeiterbewegung anbelangt,  so hat der Prozess der objektiven Veränderungen der iranischen Gesellschaft, insbesondere in den letzten Jahren,  die eine Epoche der Stagnation und politischer Gleichgültigkeit beendeten,  deutlich die Schwächen und Rückständigkeit der Arbeiterklasse offenbart.

Trotz des Erwachens der Arbeiter:innen und ihrer unzähligen Kämpfe stellt sich die Frage, woher diese Schwäche und Rückständigkeit kommt? Mangel an Bewusstsein,  Unorganisiertheit, Steckenbleiben im Kontext des wirtschaftlichen Kampfes sind einige Gründe für diese Entwicklung. Seit den 1980er Jahren und der Unterdrückung und Massaker an fortschrittlichsten Arbeiter:Innen und Kommunist:innen hat der Kampf der iranischen Arbeiterklasse nie über den wirtschaftlichen Kampf und eine spontane Bewegung  hinausgehen können.

Die Veränderungen im Kampf der Arbeiterklasse seit 2017 waren keine qualitative Veränderung dieser Kämpfe und ihre Umwandlung in einen politischen Klassenkampf, sondern eine Zunahme von Streiks und Arbeiterprotesten um wirtschaftliche Forderungen.

Erst 2018 versuchten die Arbeiter:innen von Haft Tapeh,  Stahlindustrie Foolad, HEPCO und Azar Ab, diesen wirtschaftlichen Kampf zum politischen Kampf der Arbeiterklasse zu erheben,  indem sie konkrete politische Slogans formulierten. Diese Initiative führte leider nicht zu einem qualitativen Sprung in der gesamten Arbeiterbewegung und eine Weiterentwicklung des Kampfes.

Selbst als 2019 bei den  Massenprotesten der Sturz der islamischen Republik der bestimmende Slogan war, spiegelte sich dieser Slogan beim Kampf und Forderungen der Arbeiter:innen nicht wider. Selbst konkrete politische Forderungen wie politische Freiheiten, die die Arbeiterklasse dringender als alle anderen benötigt, standen nicht im Vordergrund der Forderungen. Es wurden natürlich auch einige politische Forderungen formuliert wie die Abschaffung von Privatisierungen. Konkrete Slogans gegen die politische Herrschaft der herrschenden Klasse und das Regime der offenen Diktatur gab es nicht.

Die Realität zeigt, dass trotz dieses wirtschaftlichen Kampfes sich im Vergleich zu vor zehn Jahren die wirtschaftliche Situation der Arbeiter:innen wesentlich verschlechtert hat.

Das politische Klassenbewusstsein  der Arbeiter:innen ist kein Resultat des wirtschaftlichen Kampfes und der spontanen Bewegung. Sie bilden die Grundlage für diese Entwicklung. Im Iran kann nur der politische Kampf der Arbeiterklasse dazu führen. Daher ist das die dringende Aufgabe,  die, während die politische Partei der Arbeiterklasse nicht existiert,  in der Verantwortung von kommunistischen Organisationen und führenden und bewussten Arbeiter:innen liegt.

Warum dieser Versuch in der Vergangenheit nicht unternommen wurde,  liegt nicht nur in der Nachlässigkeit von kommunistischen Arbeiteraktivist:innen, sondern vor allem an der Prävalenz abweichender und bürgerlicher Abweichungen im Kampf der Arbeiterklasse durch manche Strömungen und Aktivist:innen. Sie verherrlichen den wirtschaftlichen Kampf und die spontane Bewegung und haben dadurch einen destruktiven Einfluß in der Arbeiterbewegung.

Ein Beispiel hierfür wäre eine anarchosyndikalistische Strömung, die als Bewegung für die Abschaffung der Lohnarbeit bekannt wurde,  und grundsätzlich die Notwendigkeit einer Klassenpartei der Arbeiter:innen als die höchste Verkörperung des politischen Bewusstseins, leugnete. Sie vertrat die Überzeugung,  dass sich das Bewusstsein der Arbeiterklasse nur im Laufe des täglichen und spontanen Kampfes steigert. Irgendwann wird die Arbeiterklasse in der Lage sein, die kapitalistische Gesellschaftsordnung zu stürzen. Es gab weitere vergleichbare Tendenzen, die jeweils ihre zerstörerische Wirkung hatten. Auch heute sind einige Strömungen darum bemüht,  den Kampf der Arbeiterklasse auf wirtschaftliche Fragen und Berufsverbände zu beschränken.

Für diejenigen,  die sich mit Arbeiterbewegung und Sozialismus auskennen,  ist es kein Geheimnis,  dass die Kampf- und Organisationsformen der Arbeiterklasse untrennbar mit den Perioden des politischen Lebens in einer Gesellschaft zusammenhängen.  In Zeiten politischer Stagnation findet hauptsächlich der Kampf für wirtschaftliche Forderungen statt und Berufsverbände werden als Organisationsform bevorzugt.  In einer revolutionären Epoche sind revolutionäre politische Arbeiterorganisationen erforderlich,  die für die höheren Formen des politischen Kampfes der Arbeiterklasse und den Sturz der herrschenden Klasse geeignet sind.

Im Iran hat seit etwa Januar 2018 eine Periode von offensiven politischen Kämpfen begonnen,  die den Beginn einer neuen Epoche des politischen Lebens und die Notwendigkeit von Veränderung und Umwälzung in der Gesellschaft angekündigt hat. Diese Epoche des Kampfes zum Sturz des herrschenden Regimes dauert noch an. In dieser Zeit sollten alle Anstrengungen darauf gerichtet sein, für einen politischen Kampf der Arbeiterklasse bis zum politischen Generalstreik zu kämpfen.

Genau heute, während der Sturz der herrschenden Klasse die dringendste Aufgabe der Arbeiterklasse ist, fordern einige Arbeiteraktivist:innen die Gründung von Gewerkschaften und den Kampf für wirtschaftliche Forderungen. Ferner behaupten sie, dass sich diese Gewerkschaften in die Politik nicht einmischen und sich nur um wirtschaftliche Forderungen  kümmern müssen. Schließlich rufen sie alle Aktivist:innen der Arbeiterbewegung auf, öffentlich ihren Aktivitäten nachzugehen. Und das in einer Situation,  während tagtäglich alle engagierten Arbeiter:innen,  Lehrer:innen sowie Angehörige demokratischer Organisationen verfolgt, verhaftet und inhaftiert werden. Solche Äußerungen sind das Resultat einer syndikalistisch – reformistischen Politik, die darauf abzielt, den Kampf der Arbeiterklasse von einem revolutionären Kampf abzulenken. Diese Tendenzen müssen entlarvt und isoliert werden.

Unsere Organisation hat mehrfach ihre Position über Gewerkschaften konkret dargelegt. Von kleinen Ausnahmen abgesehen, finden sich nirgendwo Gewerkschaften,  die nicht zu einem Hindernis bei Entwicklung und Fortschritt geworden sind.  Sie sind weltweit Institutionen im Dienste der kapitalistischen Ordnung.

In “Lohn, Preis und Profit” kritisiert Marx Gewerkschaften,  die die Arbeiterkämpfe auf Lohn, Arbeitszeitverkürzung und insgesamt eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen im Rahmen der kapitalistischen Ordnung beschränken:

” … Die Arbeiterklasse sollte die endgültige Wirksamkeit dieser tagtäglichen Kämpfe nicht überschätzen. Sie sollte nicht vergessen, daß sie gegen Wirkungen kämpft, nicht aber gegen die Ursachen dieser Wirkungen; daß sie zwar die Abwärtsbewegung verlangsamt, nicht aber ihre Richtung ändert; daß sie Palliativmittel anwendet, die das Übel nicht kurieren. Sie sollte daher nicht ausschließlich in diesem unvermeidlichen Kleinkrieg

aufgehen, der aus den nie enden wollenden Gewalttaten des Kapitals oder aus den Marktschwankungen unaufhörlich hervorgeht. Sie sollte begreifen, daß das gegenwärtige System bei all dem Elend, das es über sie verhängt, zugleich schwanger geht mit den materiellen Bedingungen und den gesellschaftlichen Formen, die für eine ökonomische

Umgestaltung der Gesellschaft notwendig sind. Statt des konservativen Mottos: “Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk!”, sollte sie auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: “Nieder mit dem Lohnsystem!”

Ein besonders wichtiger Punkt,  auf den wir wiederholt hingewiesen haben,  betrifft den Iran,  wo die offene und zügellose Diktatur der Kapitalistenklasse herrscht. Hier  kann es keinen Berufsverband der Arbeiterklasse geben,  es sei denn es handelt sich gleichzeitig um eine politische Organisation. Der Grund dafür ist,  dass das herrschende autoritäre politische Regime sie zwingt, stets politisch zu handeln. Mittlerweile sollte es allen klar geworden sein,  dass unter dem Regime der islamischen Republik keine Gewerkschaften gegründet werden können.

Eine Gewerkschaft sollte die Masse der Arbeitenden umfassen. Für die Bildung der Gewerkschaft muss eine Generalversammlung abgehalten werden. Sie braucht Büroräume. Sie muss in der Lage sein,  Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und zum Protest aufzurufen. Sie muss mit den Unternehmen und der Regierung Verhandlungen führen und all das setzt politische Freiheiten voraus. Da es im Iran keine politischen Freiheiten gibt,  wird es auch keine Gewerkschaften geben. Daher wollen diejenigen, die diesen Weg propagieren, lediglich den Klassenkampf der Arbeiter:innen verhindern.

Es sollte hinzugefügt werden,  dass im Iran, solange sich die politischen Bedingungen nicht so verändern, dass das Kräfteverhältnis im Interesse der Arbeiterklasse liegt, können nur geheime Organisationen wie Fabrik- und Streikkomitees die wirtschaftlichen und politischen Kämpfe der Arbeiterklasse organisieren und führen.

Die Hauptaufgabe dieser Komitees in der gegenwärtigen politischen Situation besteht darin, den Kampf der Arbeiter:innen für wirtschaftliche Forderungen in einen politischen Kampf umzuwandeln und für den politischen Generalstreik einzutreten.

Damit eine landesweite politische Bewegung der iranischen Arbeiter:innen entstehen kann,  ist ein landesweiter Slogan erforderlich. Dieser Slogan kann nur ein politischer Slogan sein.

Der Slogan Arbeit, Brot, Freiheit- Der Rätestaat ist der bekannteste politische Slogan unter den Arbeiter:innen und Werktätigen. Dieser Slogan verkörpert die allgemeinen Forderungen der werktätigen und unterdrückten  Massen im ganzen Iran.

Ohne einen politischen Kampf, dem ein klarer politischer Slogan zugrunde liegt, kann weder die unabhängige politische Bewegung der Arbeiterklasse entstehen,  noch ihre landesweite Einheit, noch können die wirtschaftlichen Forderungen der Arbeiter:innen verwirklicht werden.

Im heutigen Iran ist es immer noch möglich,  dass sich der Kampf der Arbeiterklasse zu einem landesweiten politischen Kampf weiterentwickelt . Wir müssen dafür kämpfen, um diesen Prozess zu beschleunigen.

Artikel aus Kaar Nr. 940 erschienen am 3. Oktober 2021