Ein Abkommen, das zur Machtübernahme durch die Taliban geführt hat

Ohne nennenswerten Widerstand besetzten die Taliban auch die Hauptstadt Kabul. Das ist der Beginn einer neuen Katastrophe für das unterdrückte afghanische Volk. Für den Teil der afghanischen Bevölkerung,  die vor Jahren die Brutalität und mittelalterliche Barbarei der islamistischen Taliban erlebt hat, ist ihr Wiedererstarken an der Macht erschreckend.

Es wird immer wieder gefragt, wieso alles so schnell und ohne Widerstand durch die 300,000 Mann starke afghanische Armee geschehen konnte.

Die Antwort ist recht einfach: Es war vereinbart,  dass es keinen Widerstand geben darf. Im Vorfeld war vereinbart,  dass der Krieg vorbei sei und die Taliban die Macht übernehmen sollten. Die afghanische Regierung sowie das Militär waren bereits informiert.

Die Taliban wurden als eine Alternative für die Übernahme der politischen Macht durch den US- Imperialismus und seinen Verbündeten betrachtet, nach dem die US-Expansionspläne für den Nahen Osten wegen der Zunahme von Opferzahlen und steigenden Kosten scheiterten. Daher beschloss die US-Regierung, ihre Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Einer der Gründe für diese Entscheidung war die politische Einschätzung,  dass die Taliban über Einfluß und Basis unter der paschtunischen Bevölkerung verfügen, die fast die Hälfte der afghanischen Bevölkerung ausmachen. Auch gegen ihre Methoden der Kriegsführung kann nicht einfach vorgegangen werden.

Die Taliban war einst durch finanzielle und logistische Unterstützung durch den US-Imperialismus und regionale reaktionäre Regierungen wie Pakistan,  Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate an die  Macht gelangt. Sie rief das islamische Emirate Afghanistan aus und wurde später im Jahre 2001 durch US-Militär gestürzt.

Die erneute Hinwendung der US-Regierung zu den Taliban begann während der Amtszeit von Barack Obama. Es fanden indirekte Verhandlungen statt. Im Jahre 2013 richteten die USA eine politische Vertretung für die Taliban in Katar ein. Die politischen Aktivitäten von Taliban nahmen seit dem zu und sie erhielten politische,  finanzielle und militärische Unterstützung durch andere Staaten. Informelle Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban wurden bis 2018 fortgesetzt.

Im Oktober 2018 nahm Khalilzad als Sondergesandter des US-Außenministeriums für Afghanistan formelle sogenannte Friedensgespräche mit den Vertretern von Taliban auf. Nach 11 Verhandlungsrunden und geheime Vereinbarungen fand am 29.02.2020 in Doha ein Treffen mit 30 Regierungsdelegationen, darunter der US-Außenminister und der deutsche Sonderbeauftragte für die Europäische Union, statt. Hier wurde ein Abkommen unterzeichnet zwischen den USA und den Taliban als Vertreter des “Islamischen Emirates Afghanistan”. Die noch offizielle Regierung spielte hierbei keine Rolle und war zu den Verhandlungen nicht eingeladen. Obwohl der Eindruck von inter- afghanischen Verhandlungen erweckt wurde, die Übergabe der Macht an die Taliban war bereits offiziell entschieden.

Das Abkommen sieht u.a. vor, dass etwa 5000 Taliban-Häftlinge freigelassen werden.

Es wurde vereinbart,  dass “die Vereinigten Staaten, ihre Verbündeten und die Koalition den Abzug aller verbleibenden Streitkräfte aus Afghanistan innerhalb der verbleibenden neuneinhalb Monate abschließen werden”.

Es wurde vereinbart,  dass “die Vereinigten  Staaten, ihre Verbündeten und die Koalition alle ihre Truppen von den verbleibenden Stützpunkten abziehen werden”.

Gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit Afghanistans wird keine Gewalt angewendet und es wird keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes geben. Auch die Sanktionen gegen die Taliban-Mitglieder wurden aufgehoben.

Das islamische Emirate Afghanistan sicherte seinerseits zu, dass es keinem ihrer Mitglieder,  anderen Personen oder Gruppen,  einschließlich Al-Qaida erlauben wird, das afghanische Territorium zu nutzen,  um die Sicherheit der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten zu bedrohen. Es wird auch keine Zusammenarbeit mit diesen Personen oder Gruppen geben.

Das islamische Emirate Afghanistan wird keine Visa, Reisepässe, Reisegenehmigungen oder anderen legalen Dokumente an Personen ausstellen, die nach Afghanistan einreisen und die Sicherheit der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten gefährden.

Aus diesen Bestimmungen des Abkommens geht klar hervor,  dass der Konflikt vorbei ist und die Kapitulation Afghanistans von den islamistischen Taliban bestätigt wurde.

Das Kapitulationsabkommen wurde auch von afghanischen Regierungsvertretern und anderen offiziellen Persönlichkeiten begrüßt und bestätigt und als der Beginn eines Prozesses zur Beendigung des 40-jährigen Krieges gefeiert.

Damit ist klar, warum sich die afghanische Armee den Taliban-Angriffen nicht widersetzt hat. Allen war klar, dass die US-Regierung im Rahmen des Abkommens von Doha der Machtübernahme der Taliban zugestimmt hatte. Das afghanische Militär sah keinen Grund oder Anreiz mehr, Widerstand zu leisten und zu kämpfen.

Es stellt sich nun die Frage, ob die Taliban ihr islamisches Emirate reibungslos errichten kann? Zweifellos hat sich die Taliban nicht im geringsten verändert, auch wenn ein anderer Eindruck zu vermitteln versucht wird. In den vergangenen zwanzig Jahren haben sich in Afghanistan Veränderungen vollzogen, die die Ziele von Taliban ernsthaft behindern.

In der afghanischen Gesellschaft existiert ein anderes Bewusstsein.  Die afghanische Jugend hat in den letzten zwanzig Jahren einen anderen Lebensstil angenommen und ist stärker mit der Außenwelt verbunden, auch durch die neuen Kommunikationsmittel. Sie wird sich ohne weiteres den Vorstellungen und Zielen der reaktionären Islamisten nicht unterwerfen.

Vor allem Frauen leisten Widerstand,  um ihre Errungenschaften zu erhalten. Den Taliban stehen heute Millionen Menschen gegenüber,  die sich gegen die Unterdrückung und mittelalterliche Vorstellungen von Taliban wehren.

Darüber hinaus sind ie Taliban schlicht nicht bereit,  die politische Macht mit anderen rivalisierenden Gruppen zu teilen. Allein der Name islamisches Emirate Afghanistan ist unvereinbar mit der Teilnahme anderer Gruppen an der Macht, trotz deren Einfluß in Afghanistan.

Die Taliban werden diese politischen Rivalen noch kurzfristig tolerieren, um die eigene Position im Inland zu stärken und internationale Zustimmung und Unterstützung zu erhalten.

Vieles spricht für eine neue Runde des Bürgerkrieges in Afghanistan. Die Machtergreifung durch die Taliban steht für neue Krisen in der afghanischen Gesellschaft, die sich bald zeigen werden.

Artikel aus Kaar Nr. 934 erschienen am 22. August 2021