Frauen in der islamischen Republik Iran und in Afghanistan unter Taliban
Vor wenigen Tagen wurde die Nachricht über die Entlassung von einigen weiblichen Direktoren in den Teheraner Gemeinden veröffentlicht. Laut dem Bericht wurde einigen anderen mit Entlassung gedroht, falls sie nicht von selbst zurücktreten.
Zeitgleich am 19. September hat Hamdollah Nomani (der neue Bürgermeister von Kabul) angeordnet, alle weiblichen Angestellten der Stadtverwaltung von Kabul zu entlassen und durch Männer zu ersetzen.
Das Zusammentreffen dieser beiden Nachrichten hat eine große Aussagekraft im Zusammenhang mit den gemeinsamen Charaktereigenschaften der islamischen Republik Iran und des islamischen Emirates Afghanistan und die Anwendung des islamischen Rechts.
Während sich der Kabuler Bürgermeister recht konkret geäußert hatte, wurde der Vorsitzende des Teheraner Stadtrats zuerst gezwungen, den Bericht zu dementieren und von evtl. “Ausnahmen” sprechen. Das ist die übliche Reaktion der Verantwortlichen der islamischen Republik. Immer wenn solche Informationen durchsickern, wird versucht zu leugnen und zu vertuschen. Dieser Unterschied ist aber auch auf die unterschiedlichen sozialpolitischen Bedingungen in beiden Ländern zurückzuführen. Vier Jahrzehnte frauenfeindliche Politik der islamischen Republik spricht für die Gemeinsamkeiten beider Regimes.
Der Versuch, Frauen aus Führungspositionen zu verdrängen bzw. zu entfernen, ist nicht neu und beschränkt sich nicht auf die Ernennung des neuen Teheraner Bürgermeisters Alireza Zakani.
Aus der in Februar 2021 veröffentlichten Statistik geht hervor, dass sich unter den 700 Direktoren der Teheraner Stadtverwaltung lediglich 53 Frauen befinden. Das sind gerade 8%. In den Jahren 2005 bis 2017 Betrug dieser Anteil Etwa 1%. Wie üblich werden solche Maßnahmen immer mit dem Wohl der Frauen gerechtfertigt.
En Mitglied des Stadtrats von Mashhad sagte beispielsweise im Juli dazu:” Ich bin gegen alle Tätigkeiten, die dem Leben und der Rolle der Frauen in der Familie widersprechen… die Frauen sollten sich um die Erziehung ihrer Kinder kümmern und nicht einer Tätigkeit nachgehen, weshalb sie ihren häuslichen Pflichten nicht nachkommen können .”
Es versteht sich von selbst, dass die Präsenz von Frauen in Führungspositionen, vor allem in einem Regime wie die islamische Republik, nicht als Verwirklichung von Frauenrechten oder die Wahrnehmung von Frauenforderungen verstanden werden darf.
Die Taliban sprechen von “Respektieren der Frauenrechte ” im Rahmen der islamischen Scharia. Genau genommen bedeutet das dieselbe Rechtlosigkeit und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, was die Führer der islamischen Republik Iran, männlich oder weiblich, reformorientiert oder fundamentalistisch, umsetzen aber anders formulieren.
Die Äußerungen von Ensieh Khazali, Vizepräsident für Frauen und Familie in der neuen iranischen Regierung, sind in diesem Zusammenhang interessant. In einem Interview sagte sie:” Gleichstellung könnte Frauen schaden. Jeder soll entsprechend seinen Bedürfnissen und seiner Natur an seinem Platz sein. Mit dem Diskurs der islamischen Revolution können wir das tun.” Das ist nicht das erste Mal, daß die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts durch die Verantwortlichen der islamischen Republik unter dem Deckmantel Schutz von “Fraueninteressen” verteidigt wird.
Kürzlich gab es in Afghanistan eine Initiative der Mütter, die ihre Namen in der Geburtsurkunde ihrer Kinder eintragen lassen wollten. Im Iran vor der islamischen Republik stand auch der Name der Mutter in der Geburtsurkunde. Seit der Einführung von Nationalem Personalausweis ist das nicht mehr der Fall. Es wird wohl eine Weile dauern, bis die Frauen unter der islamischen Republik dieses Recht wiedererlangen.
Die Rivalität zwischen den Taliban und der islamischen Republik Iran um die Auslegung und Umsetzung der islamischen Scharia hat mittlerweile dazu geführt, dass die Schulzeugnisse der Kinder ihren Müttern nicht ausgehändigt werden. Die iranische Tageszeitung “Shargh” veröffentlichte am 13. September eine neue Richtlinie des Bildungsministeriums, dass seit Mai 2021 die Weitergabe der Schulzeugnisse an die Mütter “untersagt” sei. Einige Mütter hatten eine SMS erhalten, in der stand:” … die Zeugnisse ihrer Kinder werden nur an den Vater oder Großvater väterlicherseits weitergegeben. ”
Nach den heftigen Reaktionen in den sozialen Medien wurde diese Nachricht durch die Verantwortlichen des Bildungsministeriums dementiert und auf besondere “Einzelfälle ” zurückgeführt. Iranischen Frauen wird nicht nur das Sorgerecht für ihre Kinder verwehrt, sondern sie haben ebenfalls kein Recht bei den meisten einfachen und alltäglichen Angelegenheiten ihrer Kinder wie Fragen von Versicherungen, Eröffnung eines Bankkontos, Mobiltelefonvertrag, Erhalt des Reisepasses oder Erteilung einer Erlaubnis für eine medizinische Behandlung oder Operation.
Dabei reden die Machthaber der islamischen Republik stets von der ” Rolle der Frau in der Familie ” und von der ” himmlischen Stellung der Mütter”…. Es ist offensichtlich, dass “Mütter” im islamischen Familiensystem nicht gleichberechtigt mit “Vätern” sind.
Die Gemeinsamkeiten zwischen der islamischen Republik Iran und Taliban sind wohl recht vielfältig.
Am 20. September gab das Bildungsministerium von Taliban den Beginn des Schulunterrichts für Jungen bekannt. Vor der Machtübernahme behauptete die Taliban, dass Frauen “arbeiten, studieren und am gesellschaftlichen Leben teilhaben sollen.” Nun wurden nur männliche Lehrkräfte aufgefordert, ihre Arbeit erneut aufzunehmen. Über Schulklassen für Mädchen wurde nichts bekannt, da hierzu noch keine Entscheidung getroffen wurde. Als die Taliban das erste Mal an der Macht waren, versprachen sie, dass die Mädchenschulen geöffnet werden , sobald die Sicherheit hergestellt ist. Dieses Versprechen wurde nicht eingehalten.
Am 08. August ließ Taliban verkünden, dass sich Mädchen für das Fach Schauspiel nicht registrieren lassen dürfen.
Der als Minister für Kultur und Islamische Belehrung vorgesehene Kandidat sagte zur selben Zeit, ” die im Iran aufgeführten Theaterstücke und Filme würden die Unmoral fördern.”
Jungen Frauen ist der Zugang zu bestimmten akademischen Disziplinen kontinuierlich erschwert worden und es ist mittlerweile daraus eine Norm entstanden.
Immer mehr Mädchen brechen die Schule ab. Es gibt zwar keine zuverlässige Statistik darüber. Fest steht nur, dass es eine höhere Abbrecherquote bei Mädchen gibt. Ein Grund dafür ist das Heiraten im noch Kindesalter. Die iranische Vizepräsidentin für Frauen und Familie tritt für diese frauen- und kinderfeindliche Politik ein und findet dass sie mit der islamischen Scharia übereinstimmt. Stolz gab sie bekannt, Mit 16 geheiratet zu haben und besteht darauf, die Ehe zu fördern und eine Familie zu gründen. Nach der Machtergreifung durch die Taliban hieß es mancherorts, die Taliban hätten die Bewohner aufgefordert, über 12-jährige Mädchen zu melden, damit die Taliban sie heiraten können.
“Frau” und “Familie ” sind zwei untrennbare Begriffe für die Verantwortlichen der islamischen Republik. Angeblich gibt es für eine Frau keine Identität oder Rolle außer in der Familie.
Durch die Förderung der religiösen und patriarchalischen Kultur sowie die Verabschiedung von frauenfeindlichen Gesetzen ist aus der Familie für manche Frauen eine unerträgliche Hölle entstanden.
Häusliche Gewalt, Femizid und Belästigungen sind andere Aspekte, die in der islamischen Republik nicht verfolgt und bestraft werden.
Säureangriffe auf Frauen besonders im Oktober 1994 in der Stadt Isfahan ist ein wichtiges Beispiel. Die Täter wurden nicht verfolgt und die Verfahren wurden eingestellt. Immer wieder werden Frauen öffentlich damit bedroht.
Wenige Tage nach der Machtübernahme ordnete Khomeini die Einhaltung des islamischen Hijab an. Aufgrund von Widerstand und Protesten von Frauen musste er zunächst zurückrudern. Der Hijab wurde jedoch mit Hilfe von Schlägertrupps und Einschränkungen durch Weisungen und Richtlinien durchgesetzt, jedoch zu keiner Zeit auf die Art und Weise, wie die Machthaber der islamischen Republik es sich vorgestellt haben. Trotz allen Repressalien in den vergangenen fast 43 Jahren haben sie ihren gewünschten Hijab nicht durchsetzen können.
In der Frage der Beschäftigung von Frauen können ebenfalls Gemeinsamkeiten festgestellt werden. In der kurzen Zeit seit sie an der Macht sind, haben die Taliban die Mehrheit der berufstätigen Frauen nach Hause geschickt. Eine Ausnahme bilden derzeit wenige Bereiche, für die sie derzeit keinen Ersatz haben.
Auch die islamische Republik hat wenige Monate nach der Machtergreifung damit begonnen, Frauen nach Hause zu schicken. Es gab zahlreiche Pläne und Anreize dafür. Beispielsweise wurde der Vorruhestand gefördert. Es gab Anreize für schwangere Frauen, Reduzierung der Arbeitszeit für die beschäftigten Frauen bis hin zum Verbot und zur Einschränkung einiger Berufe.
Heute im Iran sind Tausende Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen ohne Krankenversicherung, Altersversorgung sowie andere gesetzliche Leistungen wie Mindestlohn , Unfallschutz …. Sie sind andauernd Mobbing und sexueller Belästigung ausgesetzt. Der Staat verwehrt ihnen jegliche finanzielle Unterstützung und fördert damit dieses Maß an Ausbeutung.
Trotzdem geht die Propaganda für die “Gründung einer Familie ” und “Bevölkerungswachstum” weiter. Die Tatsache, dass sich während der Corona-Pandemie auch viele Frauen in Homeoffice befanden, wird gut geheißen , weil dies für den Staat aus ökonomischer Sicht und für Familien “spirituell und wegen der Erziehung der Kinder” vorteilhaft ist.
Die Geschlechtertrennung ist ein anderes Gebiet, wo es Gemeinsamkeiten zwischen dem Taliban-Regime und der islamischen Republik gibt.
Es wurden Bilder veröffentlicht, die zeigen, dass die Bereiche für Studentinnen und Studenten durch einen Vorhang getrennt werden sollen. Ein hochrangiger Mitglied von Taliban sagte, :” es ist noch nicht klar, ob es männliche und weibliche Universitäten geben wird, jedenfalls in der Regierung können Männer und Frauen nicht zusammenarbeiten. Für Frauen wird es eigene Krankenhäuser geben.”
Dasselbe hat die islamische Republik Iran auch vier Jahrzehnte vergeblich versucht. Die Realität und der Widerstand haben diese Pläne vereitelt. Diese Erfahrung wird wahrscheinlich auch die Taliban machen.
Die Gemeinsamkeiten zwischen der islamischen Republik Iran und dem islamischen Emirate der Taliban sind so vielfältig, so dass sie im Rahmen dieses Artikels nicht behandelt werden können.
Die Machthaber der islamischen Republik zeigen sich überrascht darüber, dass die Bevölkerung sie mit dem Taliban-Regime in Afghanistan vergleicht.
Afghanische und iranische Frauen verbindet eine lange Tradition des Widerstands. In beiden Ländern kämpfen sie gegen reaktionäre Regimes, die ihr Schicksal bestimmen wollen.
Der Tag wird kommen, an dem sie Seite an Seite ihren Sieg über Reaktion in einer freien Gesellschaft ohne religiöse Herrschaft feiern.
Artikel aus Kaar Nr. 939 erschienen am 26. September 2021