Iranische Frauen und die fatalen wirtschaftlichen Folgen von Corona-Pandemie
Durch die Corona-Pandemie wird nicht nur die Gesundheit und das Leben von Menschen weltweit bedroht, sondern sie hat darüber hinaus verheerende Auswirkungen auf alle wirtschaftlichen, sozialen und politischen Aspekte der menschlichen Gesellschaft.
Negatives Wirtschaftswachstum, steigende Arbeitslosigkeit, Inflation, Armut und Hunger zeigen die enormen Dimensionen dieser Katastrophe. Im Jahre 2019 litten weltweit ca. 690 Millionen Menschen armutsbedingt an chronischem Hunger und Unterernährung. Diese Zahl sollte bereits fast eine Milliarde Menschen übersteigen .
Eine Untersuchung der UN – Organisation für Lebensmittel und Landwirtschaft zeigt, dass etwa drei Milliarden Menschen weltweit über keine angemessene Ernährung verfügen.
Die vom iranischen Zentrum für Statistik veröffentlichten Daten zeigen den gleichen Trend im Iran. Es ist an dieser Stelle wichtig zu bedenken, dass offizielle Statistiken der iranischen Regierung nicht unbedingt vertrauenswürdig sind. Sehr häufig werden veröffentlichte Daten von unterschiedlichen Behörden und Institutionen als fehlerhaft kritisiert.
Im vergangenen Frühjahr sollen 41% der Gesamtbevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15 Jahre und älter) wirtschaftlich aktiv gewesen sein. Das ist, in absoluten Zahlen, ein Rückgang von ca. 2,1 Millionen gegenüber dem Vorjahr. Davon sind 1,02 Millionen Frauen und 970,000 Männer. Im selben Zeitraum sind ca. 1,5 Millionen Menschen zusätzlich arbeitslos geworden. Davon waren ca. 700,000 Frauen. Der Anteil von Frauen an arbeitslosen Hochschulabsolventen betrug 20,2 Prozent, während der Anteil der Männer bei 10,3 Prozent lag .
Bis zum vergangenen Herbst haben damit über eine Million Frauen den Arbeitsmarkt verlassen müssen.
Dieser Trend zeigt sich auch beim Anteil der Frauen an der Gesamtzahl von Beschäftigten. Im vergangenen Frühjahr waren insgesamt 19,5 Millionen Männer und ca. 4 Millionen Frauen beschäftigt. Der Frauenanteil an der Beschäftigung lag damit bei ca. 15 Prozent.
In den vergangenen Jahren hat die islamische Republik für die Unternehmen die Möglichkeit geschaffen, Arbeitskräfte nur noch mit befristeten Verträgen zu beschäftigen. Der Staat selbst geht hierbei mit gutem Beispiel voran. Vor einem Jahr sprach das Bildungsministerium von fehlenden Tausenden Lehrkräften. Für die Besetzung dieser Lehrstellen sind keine Institutionen oder Verantwortlichen bereit, Lehrkräfte offiziell mit festen Arbeitsverträgen einzustellen.
Stattdessen werden Soldaten, Studierende oder auch Lehrer:innen zeitlich befristet eingestellt.
Die Regierung begründet dieses Vorgehen mit dem Haushaltsdefizit. Dieses Argument wird immer wieder für die Rechtfertigung herangezogen. Trotz Haushaltsdefizit werden die Ausgaben für religiöse Stiftungen und Institutionen sowie Unterdrückungsorgane im Staatshaushalt nicht reduziert. Es werden selbst Nationale Entwicklungsfonds für ihre Finanzierung herangezogen.
Krankenpflege ist ein weiterer Sektor, in dem viele Frauen beschäftigt sind. Selbst in Zeiten der Corona-Pandemie werden Pflegekräfte nur mit befristeten Verträgen eingestellt. Die offenen Stellen in diesem wichtigen Beruf werden daher selbst unter normalen Umständen nicht vollständig besetzt.
Wir können schlussfolgern, dass die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts auf dem Arbeitsmarkt und der geringe Anteil von Frauen auf diesem Markt (ca. ein Fünftel der berufstätigen Männer) nicht nur auf die Dominanz des Patriarchats auf diesem Markt und die Gier der Kapitalisten bei der Ausbeutung von billiger Arbeit zurückzuführen ist.
Die islamische Republik hat von Anfang an gezielt versucht, Frauen aus allen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bereichen auszuschließen, indem sie religiöse und frauenfeindliche Richtlinien und Verordnungen erlassen hat. Systematisch werden traditionelle Rollen für Frauen propagiert und es wird permanent alles unternommen, um sie auf den informellen Arbeitsmarkt zu drängen, in dem schlechtere Arbeitsbedingungen herrschen und niedrigere Löhne bezahlt werden. Hier verfügen die Beschäftigten häufig weder über Krankenversicherung noch werden ihre Sozialversicherungsbeiträge entrichtet.
Laut dem Bericht von OECD über Gender Equality aus dem Jahr 2019 belegt der Iran den Rang 118 (Platz 3 von unten). Nach einer Untersuchung der Weltbank aus ebenfalls 2019 belegt der Iran bei rechtlicher Gleichstellung von Frauen und Männern den Rang 187, also den letzten Platz.
Ein weiteres Beispiel für besseres Verständnis dieser Entwicklung ist die von Khamenei in den vergangenen Jahren immer wieder aufgeworfene Frage des Bevölkerungswachstums. In diesem Zusammenhang wurde 2015 ein Gesetz verabschiedet, die allgemeine Richtlinien für “Bevölkerung und Familienentwicklung” enthalten soll.
Danach liegt die Priorität bei der Beschäftigung in allen staatlichen und nichtstaatlichen Sektoren bei verheirateten Männern mit Kindern, dann Frauen mit Kindern und schließlich Kinderlosen. In diesem Plan ist für Männer die “wirtschaftliche” und für die Frauen die “Mutter und Ehefrau” Rolle definiert und vorgesehen.
Durch diesen Plan sollte die iranische Gesamtbevölkerung auf 150 bis 200 Millionen wachsen. Heute 6 Jahre später zeigt die Statistik über Eheschließung, Scheidung und Geburten das völlige Scheitern dieses Plans.
Laut Angaben des nationalen Registers ging die Zahl der Eheschließungen von 2013 bis 2019 um 33 Prozent zurück. Die Geburtenrate sank im selben Zeitraum um ca. 22 Prozent.
Diese Entwicklung war zu erwarten. Denn durch die Verschärfung der Wirtschaftskrise werden zunehmend immer mehr Menschen unter die Armutsgrenze gedrängt. Die Lebenshaltungskosten steigen stetig, die Kosten für Wohnraum und Miete schnellen in die Höhe, die Arbeitslosigkeit steigt, besonders unter jungen Menschen. Keine “Regierungsverordnung”, Richtlinie, Propaganda und Gesetz kann diese Tatsachen aus der Welt schaffen.
Vier Jahrzehnte Diskriminierung, Benachteiligung, Armut, Gewalt, Arbeitslosigkeit, Demütigung und Unterdrückung sind das Ergebnis des religiösen Regimes der islamischen Republik für iranische Frauen. Diese Gesamtsituation wurde durch die fatalen Folgen der Corona-Pandemie weiter verschärft.
Diese vier Jahrzehnte und die aktuelle Situation haben dazu geführt, dass iranische Frauen eine entscheidende Opposition der islamischen Republik in der iranischen Gesellschaft sind. Die iranischen Machthaber sind sich dieses Potenzials bewusst und fürchten es.
Das ist der Grund, weshalb immer mehr kämpfende Frauen und Mädchen sehr hart bestraft werden. In der iranischen Gesellschaft kann keine Veränderung ohne Frauen herbeigeführt werden.
Frauen haben und werden nicht aufhören zu kämpfen, bis eine Gesellschaft ohne reaktionäre religiöse Gesetze errichtet ist, in der gleiche Rechte in der Tat gelten und jegliche Diskriminierung und Benachteiligung aufgrund des Geschlechts in allen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereichen beseitigt ist.