Libanon braucht tiefgreifende revolutionäre Veränderungen

Nach der verheerenden Explosion am 04. August in Beiruter Hafen, wurde wie in kapitalistischen Ländern üblich zuerst versuchten alle Beteiligten , die politische Konkurrenz für die Katastrophe verantwortlich zu machen; dann werden Untersuchungsausschüsse gebildet, die die Wahrheit ans Licht bringen sollen. Zum Schluss müssen immer und überall einige aus mittleren Rängen dafür die die Verantwortung übernehmen. In diesem Fall geschah auch dasselbe. Einige Manager der Hafenanlage wurden festgenommen, um den Zorn der Bevölkerung zu besänftigen.

Die libanesische Bevölkerung wusste über dieses Vorgehen schon Bescheid. Daher richtete sich ihr Zorn gegen die herrschende Klasse und die gesamte bestehende Ordnung. Das kam zum Ausdruck in Protesten, in Angriff auf politische und wirtschaftliche Zentren und Einrichtungen sowie der Forderung nach dem Rücktritt des gesamten Kabinetts und der Auflösung des Parlaments usw. Die verheerende Explosion war nur eines der Verbrechen, für die die an der Macht Beteiligten verantwortlich sind.

Fast vor einem Jahr kam es in Libanon zu Streiks und Demonstrationen, die nur durch Veränderungen in mindestens politischer Struktur Libanons zur Ruhe kommen können.

Schon längst vor diesen Protesten war klar  , dass sich die wirtschaftliche Situation in Libanon verschlechterte. Auslandsschulden wuchsen ständig und dadurch wurde der Druck auf die Bevölkerung immer stärker. Im Jahre 2019 lag  die Auslandsverschuldung bei 80 Mrd US Dollar, das entspricht 150 Prozent des BIP Libanons. Der Staat war nicht mehr in der Lage, die Auslandsschulden zurückzuzahlen. Das führte seinerseits zu einer Abwertung der libanesischen Lira. Das Staatsbankrott war ganz offensichtlich.

Die libanesische Regierung war nicht einmal in der Lage, einen funktionierenden öffentlichen Sektor zu garantieren. Große Teile der Bevölkerung haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, die Stromversorgung funktioniert nicht, dasselbe gilt auch für die staatlichen Schulen und das Gesundheitssystem, Müllabfuhr und Kanalisation.

Die Einführung neuer Steuern und Abgaben, die die verarmte Bevölkerung noch härter trafen, führten zu Streiks und Massenprotesten. Infolge dieser Proteste musste die Regierung von Saad Hariri zurücktreten.

Der Ausbruch der Corona-Pandemie stoppte kurzzeitig die Protestbewegung, verschärfte aber gleichzeitig die Wirtschaftskrise. Hassan Diab wurde mit der Bildung des Kabinetts beauftragt. Seine Expertenregierung hat die Krise weiter verschärft. Innerhalb von 10 Monaten verlor die libanesische Währung ca. 80 Prozent ihres Wertes. Viele Arbeiter*innen haben ihre Jobs verloren. Die Arbeitslosenquote lag mittlerweile bei 30%.

Selbst die Weltbank hatte vor dieser Entwicklung gewarnt. Im April dieses Jahres gingen die Menschen erneut auf die Straßen und setzten ihren Protest trotz 600 Verletzte, infolge brutaler Unterdrückung, fort.

In dieser Situation kam es zu der verheerenden Explosion in Hafen von Beirut. Die wirtschaftlichen Folgen sind katastrophal, da Libanon fast 80 Prozent der notwendigen Nahrungsmittel wie Weizen über diesen Hafen importiert, was im Augenblick nicht mehr möglich ist.

Die Situation in Libanon ist derart zugespitzt, dass nur eine grundlegende Veränderung die Bevölkerung vor Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit retten kann. Das Bankrott der politischen Ordnung unterstreicht die Notwendigkeit von politischen Veränderungen.

Das politische Regime, das auf die Machtverteilung zwischen religiösen Gruppen beruht, hat auch einen antidemokratischen Charakter und ist deshalb allgemein verhasst.

Unter dem Druck der Bevölkerung mussten die Regierenden den Platz räumen und allesamt zurücktreten. Hassan Diab sagte in einer Erklärung zu seinem Rücktritt “Die Struktur der Korruption in Libanon ist größer als die der Regierung. Die politische Klasse hat die Ersparnisse  der Bevölkerung verschwendet und das Land extrem verschuldet. In allen Funktionen der Regierung ist das System zutiefst korrupt.”

Um die drohende Katastrophe abzuwenden, braucht Libanon eine radikale Veränderung. Die Frage ist wieweit diese Veränderung gehen wird?

Das bankrotte politische System wird die aktuelle Krise, sowohl aus inneren wie internationalen Gründen, nicht überstehen können.

Wie demokratisch wird das künftige politische Regime sein? Inwieweit wird der Wille der arbeitenden Massen widerspiegelt? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, welche Organisationsformen die Massen im Laufe ihres Kampfes entwickeln, um ihre Macht und Einfluß geltend zu machen.

Die Wahrheit ist, dass die libanesische Bewegung unter gravierenden Schwächen leidet. Die libanesische Arbeiterklasse ist als eine Klasse für sich nicht organisiert. Die Protestbewegung wird nicht von einer revolutionären Partei geführt.

Unter solchen Bedingungen kann die herrschende Klasse unterstützt von internationalen Mächten versuchen, die Lage unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Versuche des französischen Imperialismus, unterstützt von internationalen und regionalen Mächten laufen bereits. Für die Rettung der ökonomisch-sozialen Ordnung wird die Bourgeoisie u. U. bereit, selbst eine Veränderung des politischen Regimes zu akzeptieren. Auf wirtschaftlicher Ebene wird sie keine Zugeständnisse machen. Andererseits ist klar, dass es keinen anderen Weg gibt um die Bevölkerung vor Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit zu retten. Fest steht, dass die Bourgeoisie wirtschaftlich auf die alten neoliberalen Rezepte des IWF zurückgreifen wird, was wiederum den Druck auf die

Arbeiterinnen und Werktätigen Libanons erhöht.

Wie die künftige politische Entwicklung in Libanon auch aussehen mag, die Rolle und die Position von religiösen Gruppen und Sekten wird verändert. Das trifft besonders für islamistische Gruppen wie die Hisbollah und Amal zu, die an Bedeutung verlieren werden. Es ist denkbar, dass die von der islamischen Republik abhängige Hisbollah entwaffnet wird. Das hat seinerseits Einfluss auf die Lage von regionalen Mächten. Die islamische Republik spürt genauso wie in Irak die Ablehnung und Wut der Bevölkerung gegen ihre Rolle und Einmischung. Die Slogans gegen die islamische Republik gibt es auf jeder Demonstration.

Aus der Sicht der Interessen der libanesischen Arbeiter*innen und Werktätigen gibt es keinen anderen Weg als tiefgreifende revolutionäre Veränderungen.

Artikel aus KAR Nummer 883, erschienen in August 2020