Warum schweigt und zögert die Bevölkerung im Iran?
Es ist eine Tatsache, dass im Iran eine tiefgreifende revolutionäre politische Krise herrscht, die in den vergangenen Jahren durch die Ausweitung der Massenkämpfe stets verschärft worden ist. Das ist ein Beweis dafür, dass diese Krise im Rahmen der bestehenden Ordnung und Reformen nicht gelöst werden kann und die iranische Gesellschaft eine revolutionäre Umwälzung braucht.
Die Entwicklung der objektiven Bedingungen im Iran in den vergangenen vier Jahren stellt den Beginn einer neuen Epoche des offensiven politischen Kampfes für den Sturz der islamischen Republik dar. Vorallem seit dem Aufstand von November 2019 hat der revolutionäre Aufstieg der Bewegung einen Stand erreicht, an dem sich eine revolutionäre Situation herausgebildet hat.
Niemand kann es leugnen, dass die iranische Bevölkerung nach jahrelanger Unterdrückung durch die herrschende Klasse und das ihre Interessen verteidigende politische Regime nicht mehr bereit ist, wie bisher weiterzuleben. Das kam vor allem durch den offensiven politischen Kampf der letzten Jahre sowie die jüngsten Proteste in Provinz Chuzestan zum Ausdruck.
Andererseits kann die herrschende Klasse , deren Politik und Taktiken gescheitert sind und ihren Bankrott offen gezeigt hat, nicht mehr wie bisher herrschen. Diese Feststellung bedeutet, dass die iranische Gesellschaft eine grundlegende Veränderung und Umwälzung braucht.
Ein Blick auf die Entwicklung der vergangenen Jahre, die wirtschaftliche, politische und soziale Situation im Iran, der unerträgliche wirtschaftliche Druck, dem die Bevölkerung ausgesetzt ist, die Unfähigkeit der herrschenden Klasse, selbst die kleinsten Probleme der Gesellschaft zu lindern, das brutale Massaker an der Bevölkerung während der Corona-Pandemie und …., führt unweigerlich zu der Frage, warum das reaktionäre und menschenfeindliche Regime noch an der Macht ist und weiter herrschen kann?
Dafür gibt es zweifellos mehrere Gründe. Die entscheide Antwort lässt sich aber wie folgt beantworten:
Keine Gesellschaftsordnung oder kein politisches Regime, selbst das verroteste, wird von selbst gestürzt, auch wenn die objektiven Bedingungen für eine Revolution, nämlich eine revolutionäre Situation, vorliegt. Es sei denn, die subjektiven Bedingungen der Revolution sind ebenfalls vorhanden.
Die Avantgarde Klasse, deren Mission die Revolution und die Veränderung der Gesellschaft ist, muss über die subjektive Bereitschaft verfügen, sich der Revolution zuzuwenden. Diese Tatsache ist durch weltweite Erfahrungen belegt und bestätigt.
Das Problem der heutigen iranischen Gesellschaft besteht darin, dass die subjektiven Bedingungen der Revolution hinter den objektiven Bedingungen zurückbleiben und die iranische Arbeiterklasse noch nicht das Bewusstsein und die Organisation hat, um als Führer der aktuellen politischen Bewegung aufzutreten und die Revolution durchzuführen.
Heute existiert in der iranischen Gesellschaft eine politische Bewegung gegen die herrschende Ordnung, die häufig mit dem Slogan “Nieder mit der islamischen Republik ” in den letzten Jahren präsent war. Es ist aber auch kein Geheimnis, dass diese Bewegung weder Organisation noch Führung hat. Deshalb tritt sie in Form von vereinzelten und nicht zusammenhängen Kämpfen in verschiedenen Städten auf und wird durch eine Welle der Unterdrückung zurückgedrängt und taucht erneut anderswo auf.
Diese Bewegung kann spontan und aus eigener Kraft weder eine landesweite und kontinuierliche Bewegung werden, noch eine Führung besitzen und dem Regime ernsthafte Schläge zufügen. Sie braucht eine andere Kraft, um diese Schwächen und Nachteile auszugleichen.
In der iranischen Gesellschaft kann keine Person, unabhängig von ihren Gedanken und Kasseninteressen, die sie vertritt, diese Rolle übernehmen. Das hängt sowohl mit der katastrophalen Erfahrung aus der Revolution von 1979 als auch aufgrund des wachsenden Klassenbewusstseins und den Differenzierungen in der iranischen Gesellschaft zusammen.
Diese Aufgabe kann nun lediglich von einer gesellschaftlichen und politischen Kraft übernommen werden. In der heutigen iranischen Gesellschaft kann nur die Arbeiterklasse diese Rolle übernehmen. Denn erstens hat sie ein Interesse am Sturz der bestehenden Ordnung, zweitens hat sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage und ihre Quantität die Macht, die bestehende Ordnung zu stürzen und die Bewegung zu führen. Drittens verfügt sie über Kampfformen, die dem Kampf eine landesweite Form geben können.
Aber das Problem ist, dass die iranische Arbeiterklasse noch nicht in der Lage ist, diese revolutionäre Aufgabe zu erfüllen.
Der Kampf der iranischen Arbeiterklasse im vergangenen Jahrzehnt ist weltweit beispiellos. Trotzdem ist es ihr nicht gelungen, sich als Klasse gegen die herrschende Klasse zu erheben.
Alle Kämpfe der Arbeitenden waren nicht zusammenhängend und es handelte sich vorwiegend um wirtschaftliche Forderungen und für eine Verbesserung der Lebensbedingungen. Selbst in den Fällen, in denen politische Forderungen erhoben wurden, waren sie spezifisch für die Beschäftigten einer Fabrik oder Branche und keine politische Forderung, die allgemein von der ganzen Gesellschaft gefordert wurde.
Es ist klar, dass solange die Arbeiterklasse diese Schwäche nicht überwindet und als organisierte Klasse und politischer Führer der Massenbewegung nicht hervortritt, können auch die Hindernisse der aktuellen politischen Bewegung zum Sturz der herrschenden Ordnung nicht beseitigt werden. Damit kann die revolutionäre Situation nicht zur Revolution führen und die Verzögerung des subjektiven Faktors gegenüber dem objektiven Faktor kann katastrophale Folgen nicht nur für die iranische Bevölkerung im Allgemeinen, sondern auch für die Arbeiterklasse selbst, ihre Interessen und Ziele haben.
Nur durch ständige Kritik kann die Arbeiterklasse ihre Schwächen und Fehler überwinden und ihre große Mission erfüllen.
Die Erfahrung der letzten Jahre hat deutlich gemacht, dass selbst wirtschaftliche Forderungen nur eine politische Lösung haben, sie sind durch einen politischen Kampf durchzusetzen. Die iranische Arbeiterklasse muss zum politischen Kampf übergehen. Sie muss sich mit klaren politischen Zielen gegen die bestehende Ordnung erheben, den politischen Generalstreik und den bewaffneten Aufstand auf die Tagesordnung setzen.
In Krisenzeiten kann sich die politische Situation der Gesellschaft aus verschiedenen Gründen rasch verändern. Die herrschende Klasse ist auch nicht untätig geblieben. Sie könnte andere Wege aus der Krise suchen und bestreiten und das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten beeinflussen.
Die Lösung der aktuellen Situation ist die Verschärfung und Intensivierung des politischen Kampfes, der politische Generalstreik und Revolution und die Zerschlagung der auf Unterdrückung und Ausbeutung beruhende kapitalistische Ordnung.
Artikel aus Kaar Nr. 935 erschienen am 29. August 2021